»Es braucht alle Akteure, um Klimaneutralität zu erreichen«

Interview mit Monika Nickles, Stadt Erlangen

Als erste Kommune in Bayern hat Erlangen den Klimanotstand ausgerufen und in der Folge beschlossen, die Klimaneutralität vor 2030 anzustreben. Um dieses Ziel zu erreichen, hat die fränkische Stadt einen umfassenden Beteiligungsprozess gestartet und zwei temporäre Gremien – einen Bürgerrat und eine Stakeholdergruppe – einberufen. Zusammen mit Wissenschaftler/innen wurde auf diese Weise ein lokaler Fahrplan zur Klimaneutralität erarbeitet und schließlich dem Stadtrat zum Beschluss empfohlen. Monika Nickles ist städtische Mitarbeiterin im Büro für Bürgerbeteiligung und Ehrenamt der Stadt Erlangen. Im Gespräch stellt sie den Erlanger Ansatz vor.

In Erlangen spielt das Thema Klimawandel in der Stadtgesellschaft seit einiger Zeit eine große Rolle. Wie kam es dazu? 

In Erlangen war die »Fridays for Future«-Bewegung sehr stark und hat sehr viele Menschen auf die Straße gebracht. Im Rahmen einer Stadtratssitzung haben deren Vertreter 2019 gefordert, dass Erlangen als erste Stadt in Bayern den Klimanotstand ausruft. Das war der Anfang des Erlanger Klimaaufbruchs.

Was waren die nächsten Schritte?

Die Stadt Erlangen hat in der Folge eine wissenschaftliche Klimastudie in Auftrag gegeben, danach war klar, dass etwas geschehen muss, wenn das 1,5 Grad-Ziel erreicht werden soll. Und dann haben wir uns in der Verwaltung gefragt, welche Maßnahmen es dafür braucht und wie es gelingt, dass die Maßnahmen in der Stadtgesellschaft akzeptiert werden? Vor diesem Hintergrund wurde die Idee geboren, einen Bürgerrat aus gelosten Bürgerinnen und Bürgern zu installieren und diesem Gremium eine sogenannte Stakeholder- oder Akteursgruppe an die Seite zu stellen, die zeitgleich tagt. Teil dieser Gruppe waren zum Beispiel Verbände, ortsansässige Unternehmen, das Uniklinikum, die IHK, die Kreishandwerkerschaft und die städtischen Verkehrsbetriebe. Denn es war rasch klar, dass es neben den Bürgerinnen und Bürgern weitere kommunale Akteure an Bord braucht, um das gesteckte Ziel der Klimaneutralität zu erreichen. Zum Beispiel ist der Energieverbrauch eines Uniklinikums sehr hoch, die Unternehmen sind als Arbeitgeber auf Pendlerinnen und Pendler angewiesen, das alles hat Auswirkungen auf das Erlanger Klima. So ist ein Paket mit mehr als 40 Maßnahmen entstanden, die vom Heidelberger Ifeu-Institut entwickelt worden sind und die vom Bürgerrat mit Blick auf die Wirkung für die Stadtgesellschaft diskutiert wurden.

Welche Maßnahmen sind das? Können Sie ein Beispiel nennen?

Auf kommunaler Ebene haben wir innerhalb der Verwaltung zum Beispiel entschieden, die energetische Sanierung in städtischen Gebäuden klimaneutral voranzutreiben, Stichwort »Kesselmoratorium«. Oder dass der Öffentliche Nahverkehr in der Erlanger Innenstadt kostenfrei gestaltet wird.

Wie hat der Stadtrat reagiert? Und wie begleitet die Verwaltung die Umsetzung?

Das Maßnahmenpaket wurde dem Stadtrat vorgelegt und der Rat hat entschieden, zunächst mit 14 Leuchtturmprojekten zu beginnen. Das war eigentlich auch ganz klug, weil das Projekte auf kommunaler Ebene sind, auf die Stadt und Verwaltung Einfluss haben und für die es Gestaltungsmöglichkeiten gibt. Und daneben haben wir den »Stadtvertrag Klima« aufgesetzt, eine freiwillige Selbstverpflichtung, die alle Unternehmen und alle Einzelpersonen in Erlangen öffentlich unterzeichnen können, um ihren eigenen Beitrag zur Erreichung des Klimaziels festzulegen. Um das Thema zukünftig besser bearbeiten zu können, hat die Stadt zugleich zahlreiche neue Stellen in der Verwaltung geschaffen, zum Beispiel im Umweltamt, im Gebäudemanagement, in der Verkehrsplanung oder im Tiefbauamt. So eine Stellenmehrung gab es vorher in Erlangen noch nie.

Wie sind die Diskussionen innerhalb der Gremien abgelaufen? Neben viel Zustimmung gab es sicherlich auch unterschiedliche Standpunkte.

Es war nicht immer alles Friede, Freude, Eierkuchen, nicht alle waren begeistert. Tatsächlich gab es auch Gruppierungen beispielsweise innerhalb der Stakeholdergruppe, die aus unterschiedlichsten Gründen gesagt haben, dieses und jenes können wir nicht machen, das ist zu viel, das ist zu schnell, das ist nicht sinnvoll, das macht den Standort unattraktiv für Unternehmen, für Investoren. Aber trotz aller Unterschiede waren die Akteure in der Stakeholdergruppe froh über den Austausch, weil sie gemerkt haben, dass sie gemeinsame Themen haben und Interesse daran, von guten Beispielen zu lernen. Und daraus ist dann Anfang 2023 die Allianz Klimaneutrales Erlangen entstanden, in der sich Unternehmen, Wirtschaftsverbände und Wissenschaft vernetzen. Die Allianz bietet einen Raum für Konflikte, aber auch für konstruktive Lösungsansätze.

Wie geht es jetzt weiter und welche anderen Ideen gibt es noch?

Flankierend zum Prozess wurden beispielsweise Klimabudgets in Höhe von 6.500 Euro für die Erlanger Orts- und Stadtteile etabliert. Die Verteilung dieser Gelder organisiert der Stadtteilbeirat oder der Ortsteilbeirat, bewerben können sich Schulen, Kindergärten oder zivilgesellschaftliche Initiativen. Es geht darum, im Quartier eigene kleine Klimaprojekte anstoßen und umsetzen zu können. Dann gibt es mit dem Klimahaushalt ein Pilotprojekt, das es meines Wissens bisher so in keiner anderen deutschen Kommune gibt. Dem Instrument Klimahaushalt unterliegt die Idee, für städtische Akteure ein jährliches CO2-Budget zu erstellen und dies im Stadtrat, ähnlich dem Finanzhaushalt, zu verabschieden. Die jährlichen Emissionsbudgets ergeben sich aus dem 1,5°C Ziel. Der Klimahaushalt soll in einer Pilotphase mit dem Amt für Gebäudemanagement begonnen werden. Und dann wollen wir vor Ort ein Kompetenzzentrum als Anlaufstelle schaffen, welches die kommunalen und zivilgesellschaftlichen Angebote zum Thema bündelt. Ein Kompetenzzentrum für alle, die an diesem gesellschaftlichen Wandel interessiert sind und sich aus einer Hand informieren möchten. Welche Vereine, Initiativen und Gruppen gibt es in Erlangen, wo kann ich mich engagieren, welche städtischen Förderprogramme gibt es? Es geht darum, den Menschen Unterstützung für ihr Alltagshandeln zu geben.

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